Über die Liebe
Willigis Jäger, ein Benediktiner, der mit über 90
Jahren kürzlich verstorben ist, erhielt von Josef Ratzinger 2001 Rede-,
Schreib- und Auftrittsverbot erhielt, weil er Glaubenswahrheiten der
persönlichen Erfahrung unterordnete. Er hat mich schon vor über 30
Jahren fasziniert mit seinem Buch „Suche nach dem Sinn des Lebens“. Über
eine Klientin bekam ich den Impuls zu dem Buch „über die
Liebe“.
Es ist ein Buch, über die Vollkommenheit der
Liebe. Liebe ist eine Einheitserfahrung, wo es nicht mehr um die
Trennung von Gott und Mensch geht. Er zitiert Meister Eckehart, der
sagt: „Wer Gott mehr liebt als seinen Nächsten, der liebt ihn noch nicht
auf vollkommene Weise“.
Willigis Jäger sagt:
Wenn wir wirklich lieben, dann erkennen wir im
anderen uns selbst und erfahren das angeblich Böse des anderen auch als
das eigene Böse.
Die Liebe und der Tod sind von derselben Qualität:
eine Kraft, die uns transformiert, die keine überflüssigen Schnörkel
zulässt, jedes Versteckspiel entlarvt und uns demaskiert.
Das eigentliche Ziel des Daseins
besteht nicht darin,
zu
lieben
auch nicht darin,
sich lieben zu lassen
es
besteht einzig und allein darin,
Liebe zu
werden.
(Thomas Schied)
Wir können viel über die Liebe zitieren und kluge
Menschen schreiben sehr viel darüber, aber wie kommen wir zur Liebe bzw.
wie werden wir Liebe?
Auch hier gibt Willigis Jäger eine
Antwort:
Achtsamkeit ist der Ausgangspunkt für die
Heilung von erlittenen Verletzungen. Es ist wichtig, den Schmerz darüber
zuzulassen und zu spüren, sich weder vor ihm abzuschotten, noch sich von
ihm überwältigen zu lassen. Es geht um ein bewusstes Wahrnehmen aller
mit ihm verbundenen Gefühlsregungen. Wenn wir uns darin üben, den
anstürmenden Gefühlen mit Achtsamkeit zu begegnen, sind wir dem Schmerz
nicht länger hilflos ausgeliefert und können uns allmählich von ihm
befreien. Indem wir lernen, unsere Verletzungen wahrzunehmen und zu
akzeptieren, gelangen wir auch zur inneren Aussöhnung mit den Menschen,
die diese Verletzungen verursacht haben. Nachdem wir uns ehrlich der
Tatsache gestellt haben, dass unsere Eltern und andere wichtige Menschen
in unserem Leben durch ihr Handeln Leid verursacht haben, können wir
aufhören, ihnen weiterhin mit Vorwürfen zu begegnen, und uns sagen: Sie
haben mir diese Vorgaben für mein Leben gegeben, sie haben mich geformt
und geprägt, doch ich lasse sie nun zurück und meistere mein eigenes
weiteres Leben. Das heißt, dass wir nicht alles, was uns im Leben
begegnet, fatalistisch hinnehmen sollten. Es geht vielmehr um ein Ende
der Selbstquälerei und um die Ausheilung von
Wunden, die uns geschlagen wurden. Wir hören auf, daran zu kratzen. Wir
verlassen das Gefängnis der Identifikation mit unserer Vergangenheit und
blicken nach vorne. Aussöhnung ist sicherlich nicht leicht. Aussöhnung
bedeutet, Ja sagen zu können zu Schmerz, Demütigung, Ungerechtigkeit, zu
all dem, was uns angetan wurde, dies alles als Teil unseres Lebens zu
akzeptieren und alle Anhaftung daran aufzugeben.
Das ist genau das, was wir in einem
therapeutischen Prozess erleben. Unsere Verletzungen wahrnehmen zu
können, sie zu spüren und ihnen nicht mehr hilflos ausgeliefert zu sein.
Das schafft Frieden in uns selbst und auch mit unseren Mitmenschen. Das
Leid, das wir in unserer Kindheit erfahren haben, das darf heilen. Es
heilt, indem wir den Schmerz zulassen, aber ihm nicht mehr ausgeliefert
sind. Wir sagen JA zu allem was war. Wir brauchen nichts beschönigen und
auch niemanden von seiner Verantwortung entheben.
Wenn uns das gelingt, dann schauen wir in einer
ganz anderen Haltung auf die, die uns Leid zugefügt haben. Wir lösen uns
von den unguten Bindungen, die der Schmerz in uns aufrechterhalten hat
und können verantwortungsvoll mit unserem Leben umgehen.
Was hat das alles nun mit Liebe zu tun? Wenn wir
uns nochmal Thomas Schied vor Augen führen, der schreibt, dass das Ziel
unseres Daseins ist, dass wir „Liebe werden“, dann führen alle Wege, die
uns aus unseren ungelösten Schmerzen und Gefühlen erlösen, in die
Liebe.
Wenn wir in die Welt schauen und das viele Leid
sehen, das wiederum von uns Menschen verursacht wird, dann macht uns das
traurig und hilflos. Wenn wir jedoch bei uns anfangen und ein wenig mehr
in die Liebe kommen, dann kann das zu einem Multiplikator werden, dann
können wir die Liebe in uns an die anderen weitergeben und die Welt wird
ein ganz winziges Stück friedvoller.
Wie können wir einen Menschen lieben, mit dessen Handlungen wir nicht
einverstanden sein können? Meine Erfahrung in vielen Aufstellungen und
die Begegnungen mit Insassen im Gefängnis haben mir gezeigt, dass alle
Menschen in der Tiefe ihrer Seele nach Liebe, Geborgenheit und
Angenommensein suchen. Nur die Strategien dahin sind oft sehr leidvoll
für die Person selbst und auch für die anderen. Wir müssen das leidvolle
Handeln nicht unterstützen oder für richtig halten, um jemanden zu
lieben. Wenn wir uns bewusst machen, dass unser Gegenüber auch ein
Mensch mit den gleichen Sehnsüchten ist, dann fällt es uns viel leichter
ihn zu lieben. Diese Art der Liebe ist kein Gefühl, es ist
eine menschliche Haltung. Diese Haltung schafft Frieden in uns
und auf der
Welt.